Bildungsstandards für Religionsunterricht

Herbert A. Zwergel

Bildungsstandards für Religionsunterricht

Der Titel meines Referats lautet gegenüber der ursprünglichen Vorgabe „nationale Bildungsstandards“ nun schlicht „Bildungsstandards für Religionsunterricht“. Damit bringe ich zum Ausdruck, dass es zwar nationale Vorgaben1 gibt, diese aber auf Länderebene umgesetzt werden müssen, so dass man darauf gespannt sein darf, was am Ende von diesen einheitlichen Vorgaben noch erkennbar übrig bleibt. Allerdings wird die angezielte normierte Evaluationspraxis in den KMK-Fächern wohl dafür sorgen, dass eine gemeinsame „Klammer“ erhalten bleibt.

Nach einigen Vorbemerkungen behandle ich das Thema in zwei Durchgängen: Zuerst zeige ich Zusammenhänge bei den von mir so genannten „KMK-Fächern“ auf, um die Anfragen an Bildungsstandards (BS) für Religionsunterricht (RU) klarer in den Blick zu bekommen. Danach befrage ich die nicht von der KMK für BS vorgesehenen Fächer, hier RU, im Blick auf Chancen und Grenzen von BS. Dabei geht es vor allem um Bedingungen der Qualitätssicherung auch von RU und besonders um eine Kurzanalyse von bisher vorliegenden Modellen religiöser Kompetenz und deren religionsdidaktische Einordnung. Ein Fazit schließt meine Überlegungen ab. – Ich hoffe, so einen Beitrag für einen Orientierungsrahmen Ihrer Arbeit an „Bildungsstandards für Jüdischen Religionsunterricht“ zu liefern.

Allgemeine Vorbemerkungen

Modi der Welterschließung

Ich setzte in diesem Referat voraus, was im Zusammenhang von PISA, D. Benner, Oberliesen/Zwergel und anderen anerkannt ist: Es gibt unterschiedliche Weltzugänge und unterschiedliche Horizonte der Welterschließung, die wechselseitig nicht substituierbar sind. Geltungsansprüche, wie der Vorrang des szientifischen Weltzugriffs, sind zu revidieren; Orientierungswissen braucht kongnitive, moralisch-evaluative, ästhetisch-expressive und religiös-konstitutive Rationalität.2

Müssen Bildungsstandards Religionsunterricht sein?

M. Schambeck vermutet, dass sich RU ins Abseits katapultiert, wenn er nicht an der Umorientierung Richtung BS teilnimmt.3 Ähnlich A. Verhülsdonk, der einen Verdrängungswettbewerb zwischen „harten“ und „weichen Fächern“ befürchtet.4 Dagegen wirke sich die Einführung von BS auf die Stellung des Fachs im Fächerkanon der Schule und auf seine didaktisch-methodische Konzeption (positiv) aus. Da mittlerweile die Fachdidaktiken aller Schulfächer, die nicht von der KMK für BS vorgeschlagen sind, an BS arbeiten, ist die Entscheidung für BS RU zu bejahen und pragmatisch zu gewichten. Es soll aber die grundsätzliche Frage zumindest erwähnt werden: „Warum kann der Religionsunterricht in einem zunehmend durchregulierten Raum von Schule nicht auch das abbilden, was das Unverfügbare in Bildungs- und Entwicklungsprozessen ist?“5 Vielleicht dämpft das die Euphorie und nutzt Nüchternheit für Gelingen von Reformbemühungen, so dass BS zu einer produktiven Herausforderung auch für die Religionsdidaktik werden können. 6

RU gem. Art. 7 (3) GG

Die Diskussion um BS verortet RU in einem schulpädagogischen Rahmen. Auch der jüdische Religionsunterricht wird, auch wenn er nicht in den Räumen der Schule stattfindet, nach 7 (3) GG erteilt. RU nach 7 (3) GG geht es im Kontext einer nicht nur theologisch, sondern auch schulpädagogisch verankerten Konzeption auch und vor allem um die unterrichtliche Erschließung reflexiv vermittelter Religion im Rahmen von Bildungsprozessen7 und nicht von Glaubensakten. Für eine Konzeption Jüdischer RU muss seine Religionspädagogik dann, ähnlich den christlichen Religionspädagogiken, auch die Frage beantworten, wie RU sich verhält zum Führen „an den Sabbat-Tisch“ oder „in die Synagoge“. Hier kommen möglicherweise unterschiedliche Selbstverständnisse der „Relígionsgemeinschaften“ zum Tragen. 8

Mit diesen Fragen werden Perspektiven eröffnet, die weit über Bildungsstandards hinausreichen: Fragen nach dem Selbstverständnis der Religionen, nach Vermittlungsmöglichkeiten in postmodernen Lebenskontexten, nach Lesarten von Eigenem und Fremdem im Horizont von Dialog einerseits und clash of cultures andererseits. Was das für die performative Dimension des RU bedeutet, wird weiter unten gesondert angesprochen.

Rahmenbedingungen und Standards9

Bei den gegenwärtigen Reformbemühungen und auch bei unserer Frage ist zu beachten, dass das eigentliche Ziel die Verbesserung der Qualität von Schule und Unterricht10 ist. Die Entwicklung von Bidlungsstandards ist nur ein Moment in einem Bündel von Maßnahmen zur Erreichung dieses Zieles. Eine Komissionen zur Erarbeitung von BS tut gut daran, auch im Sinne bildungspolitischer Wirksamkeit das gesamte Bedingungsgefüge im Blick zu halten.

Standards und Entstandardisierung11

Wie S. Blömeke berichtet, gibt es in den USA eine Kontroverse zur Lehrerausbildung zwischen Professionalisierern und Deregulierern12, wonach nicht sicher ist, was zu mehr Qualität von Unterricht führt. Vergleichbar heißt es von Schülern bei B. Dressler mit einem Zitat von Jan Ross: „Kinder und Jugendliche dagegen, ´die nach freier Wahl harte Nüsse knacken, werden ihr Land schon voranbringen, ganz gleich, welche Nüsse sie sich ausgesucht haben´.“13 Man weiss allerdings aus der psychologischen Leistungsforschung oder aus Beob­achtungen zu offenen Lernsituationen, dass solches nur für die Leistungsstarken gilt; für die ist es egal, an welchen Problemen sie arbeiten; Leistungsschwache hingegen brauchen konkret-orien­tierende Aufgaben und Hilfestellungen. Für die Fachdidaktiken der Religionsunterrichte bedeutet das: Statt sich auf allgemeine bildungspolitische Debatten zu kaprizieren, sind die schulpädagogisch und fachdidaktisch-unterrichtlichen Rahmenbedingungen und Begleitprozesse zu sichern, soll das mit BS angestrebte Ziel der Qualitätssicherung erreicht werden.

Verbindlichkeit der Vorgaben (Oelkers)

Zumindest für den RU gibt es seit dem problemorientierten RU (mit seiner notwendigen Hinwendung zu den Interessen seiner Schüler und Schülerinnen) und der curricularen Lernzielbestimmung (die Ziele sind wichtig, weniger die Inhalte) nur noch sehr begrenzt aufbauendes und kumulatives Lernen, also verlässliche Lernvoraussetzungen aus vorangegangenem RU. Jürgen Oelkers fomuliert im Blick auf diese Beobachtung: Bildungsstandards „sind deswegen so attraktiv, weil sie die Lösung eines zentralen Problems versprechen, nämlich das der Beliebigkeit. ´Bildungsstandards´ sind ins Spiel gebracht worden, weil hinter dem Ergebnis der PISA-Lesestudie die Willkürlichkeit sowohl des Angebots der Schulen als auch der Bewertungen der Leistungen vermutet wird.“14 Man will von Lehrplänen als „Wunschprosa“15 zu verlässlichen Lernergebnissen kommen!

Die neuen Instrumente wirken aber, ganz abgesehen davon, dass sich die Schule flächendeckenden Effekten16 entzieht, keineswegs von selbst; es braucht auch hier Abstimmungs- und Kontrollprozesse, wenn es um „Evalutation und Präzisierung der Leistungserwartungen“ geht: „Die Präzisierung und Überprüfung der Erwartungen ist die angestrebte Standardisierung.“17 Die Verbindlichkeit der Inhalte führt über die Verbindlichkeit der Lehrpersonen; das geht nicht allein durch Kontrolle, sondern durch Herausbildung eines professionellen Selbstverständnis der Lehrpersonen18 in einem Bündel von Massnahmen: Lehreraus- und -fortbildung, Kollegien als Lerngemeinschaften, kompetente Schulleitungen etc.

Kompetenzen der Schüler

Standardisierungen finden auch in unterschiedlichen Kompetenzen und Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler ihre Grenzen, die nichr durch verordnete Standards, sondern nur durch Fördermassmahmen korrigiert werden können. Bereits für die Grundschule gilt, „dass Kinder mit Erfahrungs- und Kompetenzunterschieden von drei bis vier Entwicklungsjahren in die Grundschule kommen. Dieser Abstand bleibt über die Schulzeit hinweg erhalten. ´Karawaneneffekt´ … Alle Kinder lernen erheblich dazu! Aber wer als Erster ins Rennen gegangen ist, kommt eben häufig als Erster im Ziel an.“19 Das ist der logische pädagogische Ort, an dem Standards sowie Diagnostizieren und Fördern notwendig zusammen gehören, und zwar nicht nur als Absichtserklärung, sondern in einem entschieden bildungs- und schulpolitischen Sinne als Sicherung auch der materiellen Bedingungen.

Materielle Bedingungen

In der bildungspolitischen Debatte spielen im wesentlichen content-standards über die Definition von Kompetenzen und Inhalten (Kerncurricula) eine Rolle; die opportunity to learn-Standards, wozu auch die materiellen Bedingungen von Schule und Unterricht (Stichwort: Wohlfühlschulen) gehören, werden, auch unter finanziellen Gesichtspunkten, eher unterbelichtet. Dabei ist aber deutlich, dass Qualitätssicherung von Schule und Unterricht die materielle Sicherung unverzichtbar einschließt. An der Aufgabe, performance-standards zu sichern, „mogelt“ sich die KMK vorbei, wenn sie Regel- statt Mindeststandards anzielt und dabei die Wirkungen des differenzierenden Schulssystems mit seinen spezifischen Benachteiligungen eher verstärkt, wogegen auch Forderungen nach Diagnostizieren und Fördern dann nur sehr bedingt etwas ausrichten.

Die Einbindung von BS in die Aufgabe von Qualitätssicherung von Schule und Unterricht, zeigt durchaus, worauf es ankommt: Verbesserung von Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität von Unterricht20; die Orientierung an dem, was output oder outcome genannt wird, lässt aber die Orientierung an Ergebnisqualität überwiegen.

Für RU – mit wenigen Stundenzahlen – sind materielle Bedingungen zur Sicherung des Lernergebnisses nicht zu unterschätzen: regelmäßige Erteilung des Unterrichts, keine Stundenkürzung, kein Ausfall, fachbezogene Vertretung, personale Kontinuität. Im Blick auf die Schüler des RU, die sich ja auch ab- und wieder anmelden können, ist aufbauendes Lernen eine besondere fachdidaktische Herausforderung (Umgang mit interner Heterogenität im RU).

Qualitätssicherung hängt auch mit Lehrerversorgung, 21 hier: für den RU mit Religionslehrern und -lehrerinnen mit qualifizierter Ausbildung zusammen. bzw. mit qualifiziertem Kontakt zum Kollegium: – Die Frage der Lehrerversorgung wird tangiert, wenn in Bayern nach Schätzungen derzeit ca. 60 % des RU im sog. Gestellungsvertrag unterrichtet werden oder in Niedersachsen22 die meisten ev. Religionslehrer keine Fachausbildung haben. Unbeschadet der häufig guten Qualifikation nebenamtlicher Lehrpersonen können diese, verursacht durch Zusatzbelastungen (wenige Stunden an unterschiedlichen Schulorten), sich oft nicht in die notwendige Kommunikation im Kollegium, Voraussetzung für Schulentwicklung, einbringen.

Bildungsstandards und KMK-Fächer

Zusammenhang BS – Kompetenzen – Aufgaben – Evaluation

Die KMK hat mit Gründen die Einführung von Bildungsstandards für Deutsch, Mathematik, Naturwissenschaften, Erste Fremdsprache, und nicht für die kleinen Fächer beschlossen. Solche Gründe sind: Transformation von Bildungsstandards im Kontext von Kompetenzmodellen in normierte Aufgaben zum Zweck verlässlicher, d.h. reliabler und valider Überprüfung/Eva­lu­­a­tion, unterstützt durch das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungssystem (IQB). Dass mittlerweilen alle Fächer an BS arbeiten, darf nicht verdecken, dass zwischen den KMK-Fächern und den kleinen Fächern Unterschiede bestehen, die vor allem aus der Verknüpfung mit der Arbeit des IQB resultieren. Diese Unterschiede zu benennen, soll Reflexionen der kleinen Fächer anstossen, darüber nachzudenken, ob sie „nicht zu weit springen“, wenn sie den Gesamtzusammenhang von „BS – Kompetenzmodell – Aufgaben – Evaluation“ restlos aufnehmen wollen.

Im diesem Zusammenhang kommt der Aufgabenentwicklung eine Schlüsselstellung zu, sind diese doch für eine, auch testtheoretisch verlässliche Überprüfung der Lernergebnisse unverzichtbar; dies gilt, auch wenn das Problem der Aufgabenformate damit nicht gelöst ist. Der Prozess der Testaufgaben-Generierung ist langwierig, personal- und zeitaufwändig und vor allem teuer. Es braucht eine umfassende Infrastruktur, was am Beispiel der Mathematik gezeigt werden kann: Die Koordinationsorganisation Mathematik nach Aufgabenkomissionen Nord, Ost, Süd, West mit Federführung, Komissionsmitgliedern und wissenschaftlicher Beratung lässt erkennen, welcher Arbeitsaufwand für die Aufgabenformulierung auf den Ebenen darunter erforderlich ist.

Aufgabenformulierung mit Normierung für Testzwecke ist auch ein permanenter Prozess, damit immer frische Aufgaben im pool sind: Für die Normierung von ca. 400 Aufgaben, die im Verlauf von 3 Jahren auszutauschen sind, braucht es im Vorlauf mehr als das Dreifache an Aufgaben für die Endauswahl. Das IQB ist mit Millionenaufwand noch für zwei Jahre mit dem ersten Durchgang Mathematik beschäftigt, danach kommen erst die Aufgaben für Deutsch. Für kleine Fächer ist der Aufwand absolut illusorisch; sie kämen beim IQB auch erst ca. 2015 dran.

Die Empfehlung des Leiters des IQB, Prof. Köller, an unsere Fächer lautet deshalb: „Kompetenzorientiert unterrichten statt standardorientiert evaluieren!“23 Die kleinen Fächer sollten aber nicht darauf verzichten, die für Qualitätssicherung hilfreiche orientierende Funktion von Beispielaufgaben zu nutzen und best-practice zur Unterstützung dieses kompetenzorientierten Unterrichts zu dokumentieren. Die Empfehlung für kompetenzorientiertes Unterrichten läuft somit gleichsam auf eine „abgespeckte Version von BS“ hinaus.

Die Kritik von K.H. Spinner an einem der KMK-Fächer sollten die kleinen Fächer ebenfalls ernst nehmen: Im Fach Deutsch S I sind im Kernbereich 112 komplexe Standards formuliert; angesichts dieser Fülle bleibt nach Spinner kaum Zeit, für die Einzelschule eigene Zielsetzungen im Unterricht zu verfolgen, obgleich auch für den Deutschunterricht gilt, dass durch BS nur 60 % des Unterrichts strukturiert werden sollen. Umgekehrt decken einzelne Aufgaben im Fach Deutsch in der Regel gleich ein Dutzend Standards ab, worin er eine Reduktion und Trivialisierung der BS sieht.24 – Für die Formulierung von umfangreichen BS-Katalogen empfiehlt sich von daher Zurückhaltung.

Überschreitung traditionell zugewiesener Grenzen:Beispiel Biologie

Ein Blick in die Arbeit an Aufgaben für das Fach Biologie macht deutlich, dass die Naturwissenschaften in Folge der Bestimmung von BS Kompetenzen anstreben, die bisher eher weniger mit naturwissenschaftlichem Unterricht verknüpft worden sind: „Förderung kommunikativer Kompetenzen“, „Bewertung von Sachverhalten“ und „Förderung von Kreativität und divergentem Denken“.25 Diese Erkenntnis könnte auch die Religionsdidaktik ermutigen, deutlicher den Bewertungshorizont im Kontext ihrer BS auszuarbeiten.

Nicht-KMK-Fächer

Mittlerweile arbeiten die Fachdidaktiken fast aller Schulfächer an BS.26 Wenn diese Fächer „kürzer springen“ müssen als die KMK-Fächer, ist zu fragen, warum sie überhaupt BS formulieren sollen, welchen Gewinn sie von dieser Reformarbeit haben können.

BS legen nicht fest, was guter Unterricht ist, beeinflussen aber Unterricht

BS werden nicht in einem freien Raum formuliert, sondern setzen ein pädagogisch-fachdi­daktische Rahmung voraus, innerhalb derer auch die angezielten Kompetenzen zu begründen sind. BS unterliegen damit Realisierungsbedingungen von Unterricht. Wer sich als Lehrperson mit ihnen auseinandersetzt, kann, wenn keine Abwehrhaltungen eingenommen werden, darin notwendige Anregungen für die Reflexion eigener Unterrichtspraxis bekommen, insbesondere hinsichtlich der Zielsetzung: verlässliche Erreichung von Lern- und Unterrichtsergebnissen.

Qualitätssicherung

Die Einführung von BS ist nur ein Moment der Qualitätssicherung von Schule und Unterricht. Auch für den RU und seine Religionslehrerinnen und -lehrer gilt, dass das mit BS Intendierte pädagogisch und professionsbezogen vermittelt werden muss. Denn die Lehrpersonen haben in ihrer (zu entwickelnden) Professionalität Verantwortung für Schule und Unterricht; nur transparente Modelle können das Handeln der Handelnden im Feld von Schule und Unterricht anregen und strukturieren. „Für Lehrpersonen sind Bildungsstandards vor allem ein Referenz-System für professionelles Handeln, das nicht wie eine Vorschrift umgesetzt werden kann, sondern die Verantwortung für die Lernprozess-Gestaltung bei den Lehrenden belässt. Insgesamt fordern die Bildungsstandards Lehrkräfte dazu auf, fachbezogene (und fächerübergreifende) Lehr- und Lernprozesse in Hinblick auf klare Zielstellungen neu zu durchdenken, das Wissen und Können der Schülerinnen und Schüler differenziert wahrzunehmen, und an der Weiterentwicklung der eigenen Professionalität und der der eigenen Schule (mit)zu arbeiten.“27

Bedeutung subjektiver Theorien

Pädagogische und fachdidaktische Theorien werden nie als solche wirksam, sondern in der spezifischen „Abschattierung“ und subjektiven Rezeption bzw. Verarbeitung und Einpassung in die eigenen handlungsleitenden Schemata von Lehrerinnen und Lehrern – den „subjektiven Theorien“. Um mit diesen in Kontakt kommen zu können, brauchen pädagogische Innovationen, um die es sich bei den BS handelt, Transparenz, Verständlichkeit und Anschlussfähigkeit nicht nur für künftiges Handeln, sondern auch für bisherige Konzepte. Hierzu ist Lehrerfortbildung ein unverzichtbares Moment.

Pädagogische Orientierungen und fachdidaktischer Horizont

Der Vorschlag der Komission des Comenius-Instituts zu Bildungsstandards ev. RU legt Beispielaufgaben vor, die Lehrpersonen im Blick auf RU orientieren sollen: Die Beispielaufgaben „sollen eine Orientierung des Religionsunterrichts auf zu erreichende Lernergebnisse der Schüler/innen unterstützen, das fachliche Profil schärfen und nachvollziehbar machen, was es in diesem Unterrichtsfach zu lernen gibt. Wenn Lehrende auch Verantwortung dafür übernehmen sollen, was in ihrem Unterricht gelernt werden kann, müssen sie auf orientierende und handhabbare Unterstützungsangebote zurückgreifen können. Die Beispielaufgaben sind ein Vorschlag zur Unterstützung eines kompetenzorientierten Religionsunterrichts.“28

An welchen Inhalten Schüler die in BS formulierten Kompetenzen erwerben sollen, entscheidet künftig nicht nur die einzelne Lehrperson, sondern die Fachkonferenz der Einzelschule: mit den Fachkollegien als professionelle Lerngemeinschaften verändert sich das Selbstverständnis von Lehrpersonen grundlegend in Richtung Kommunikation und geteilte Kompetenzen und Verantwortung. Vorgaben für ein Kerncurriculum, wie sie in den genannten Vorlagen zum RU enthalten sind, verknüpfen die Verpflichtung auf Vorgaben und die Ausgestaltung der Schule miteinander.

Dass Lehrpersonen solche Freiräume auch didaktisch verantwortet wirklich ausfüllen können, setzt auf der Ebene der BS- und Kompetenzformulierer voraus, dass diese auch die richtige Ebene treffen. „Eine Kompetenzformulierung (die Schülerinnen und Schüler) ´kennen (das) Schöpfungslob der Bibel´ oder ´wissen, dass Jesus Christus sich für Kinder einsetzt´ (Klasse 2) ist so weit heruntergebrochen, dass der Unterrichtsinhalt praktisch vorgegeben ist. Kompetenz als komplexe Leistungsdisposition ist zugunsten eines von Lerninhalten abgeleiteten Kompetenzverständnisses reduziert worden. Die Frage bleibt, ob an dieser Stelle wirklich noch von Bildungsstandards gesprochen werden kann oder nicht – wie bisher – Unterrichtsziele in sprachlich leicht veränderter Form vorgegeben werden.“29

Ähnlich formuliert F. Schweitzer für die BS ev. Rel. Baden-Württemberg: „Die Ebene von ´Kompetenzen und Inhalten´ wirft besonders weit reichende Rückfragen auf. Für Klasse 6 beispielsweise werden für das Gymnasium fast dreißig Einzelkompetenzen bzw. Inhalte aufgezählt. Das ist nicht zu leisten und wird vor allem nicht den grundsätzlichen Zielen eines kompetenzorientierten Ansatzes gerecht, den Unterrichtenden mehr Freiheit zu geben. Weiterhin herrscht hier die alte Terminologie der Lernziele vor. Vieles bleibt höchst unklar. Wann etwa kann gesagt werden: ´Die Schülerinnen und Schüler können Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Evangelischen und Katholischen Kirche erläutern´? Können dies Theologiestudierende? Was genau ist hier im Blick auf 12-jährige Kinder bzw. Jugendliche gemeint.“30

Daraus ist zu folgern: Religionslehrerinnen und -lehrer können aus BS RU nicht mehr didaktische Herausforderungen erfahren, als in ihnen an pädagogisch-theologisch-fachdidaktischen Orientierungen enthalten ist.31

Orientierung von Lehrpersonen setzt weiter voraus, dass sich Erwartungen an BS erfüllen: Reduzierung der administrativen Regelungsdichte von Unterricht, Schaffung von Freiräumen für pädagogische Vielfalt von Schule und Unterricht und Profilentwicklung von Einzelschulen. Das ist gegenüber früherer Curriculumrevision neu.32 Unverzichtbar für Qualitätssicherung ist auch, was in diesem Beitrag aber nicht weiter verfolgt werden kann, die „systematische Verbindung von Kompetenzmodellen“, die den BS zugrunde liegen, „und kernkurricularer Arbeit“.33

BS Religion

Mindest- oder Regelstandards

Entgegen der Empfehlung der Klieme-Expertise, die sich für Mindeststandards ausgesprochen hat, hat sich die KMK und haben sich auch BW, die Katholischen Bischöfe und die Kommission des Comenius-Instituts für Regelstandards entschieden. Nach Dressler entscheidet sich die „Frage, ob Mindeststandards oder Regelstandards gelten sollen, … nicht bildungstheoretisch …, sondern nur pädagogisch-pragmatisch bzw. bildungspolitisch“.34

Mit Regelstandards wird aber in Kauf genommen, dass es auch Schülerinnen und Schüler gibt, die die Standards nicht erreichen – es gibt also per definitionem auch im RU „Verlierer“ und „Gewinner“. Da die Forschungs-Frage der Niveau-Stufen religiöser Kompetenz nicht geklärt ist – wann erreicht jemand die Mindeststufe, wann eine mittlere und wann eine exzellente Ausprägung? Ist dies überhaupt mit religiöser Kompetenz durchgängig verträglich? –, stellt die Formulierung von Regelstandards gleichsam eine Verlegenheitslösung dar. Wo „Mindeststandards“ formuliert werden, wie von B. Schröder, der 8 Mideststandards vorschlägt, lesen sich aber auch diese als sehr komplex, kaum in einzelnen Aufgabenstellungen abbildbar, eher als Horizont für die Ableitung von BS. 35

Berücksichtigt man, dass das Stufungsproblem sich vordringlich im Kontext von Evaluation ergibt, für den RU aber, wie oben bereits ausgeführt, eher kompetenzorientiert unterrichtet statt standardorientiert evaluiert werden soll, könnte sich dieses Problem relativieren. Allerdings sollte bei BS Religion besonders beachtet werden, dass sie für die verschiedenen Schularten kompatibel sein müssen, da viele RU-Gruppen aus unterschiedlichen Klassen und Schularten zusammengesetzt sind.

Kompetenzen

Nach F.E. Weinert sind Kompetenzen „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“36

Dieses integriert-personverankerte Kompetenz-Verständnis von Weinert liegt den bisher vorgelegten BS durchgängig zugrunde.37 Kompetenzen sind damit nicht einfach Fähigkeiten zur Aufgabenbewältigung, sondern situativ-kontextverankert und komplex und damit nicht durch schlichte Aufgabenbewältigung zu überprüfen. Im Bemühen um leistungsbezogene Erfassung von Kompetenzen in konkreten Anforderungssituationen bzw. konkreten Aufgabenstellungen muss damit dieser integrative Bezug notwendig zu kurz kommen; Aufgabenstellungen können nur heruntergebrochene Kompetenzaspekte erfassen. Es gilt, diesen integrativen Zusammenhang von Kompetenzen in einer Bildungstheorie – denn immerhin heissen die Standards ja „Bildungsstandards“ – nicht aus dem Auge zu verlieren.

Da der Kompetenzebegriff als wissenschaftliches Konstrukt keineswegs eindeutig ist und auch bei Weinert auf, freilich tragfähigen Voraussetzungen beruht, empfiehlt es sich, genau hinzusehen: Es handelt sich um kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem motivational-volitionalen Kontext, die zur Lösung bestimmter, man könnte sagen: umschreibbarer Probleme befähigen, Voraussetzung für Operationalisierung von Kompetenzen. Es gibt aber auch Anforderungen zur Bewältigung umfassender Herausforderungen, z.B. der Orientierung auf Ziele auf lange Sicht, der Arbeitshaltung, der Wahrnehmung eigener Bedürfnisse und deren Verwirklichung, des Bedürfnisaufschubs oder der Selbstverpflichtung auf Werte, die ebenfalls Kompetenzen mit kognitiven Strategien und motivational-volitionaler Einbettung erfordern. Diese Kompetenzen möchte ich im Unterschied zu den enger umschreibenen erweiterte Kompetenzen nennen.38 Beide, engere und erweiterte gehören unverzichtbar in den gleichen Zusammenhang von Bildung und Erziehung, von Schule und Unterricht:39 Beide müssen erworben werden, weil sie nicht naturwüchsig gegeben sind; Ph. Lersch spricht hier von Arbeit am Charakter. Für beide braucht es entwicklungs- und lernförderliche Bedingungen und Kompetenzen der Lernbegleiter. Wenn beide in einem gemeinsamen Horizont reflektiert werden, kann vermieden werden, dass das Kompetenzverständnis im Interesse von Überprüfbarkeit funktional reduziert wird.

Als Reflexionshilfe bietet sich an, was in der Theologie vom Zum-Glauben-Kommen gesagt wird: Wie man den Glauben nicht machen kann, kann man auch das Mensch-Werden nicht machen; versucht man es, kann es nur verderben. Man kann, ja muss begleiten, förderliche Bedingungen schaffen, ermutigen, einladen. Niemand wird dies aus den Aufgaben von Schule und Unterricht ausklammern, auch wenn es nicht an Aufgabenstellungen überprüft werden kann. Die Erkenntnisse über Kompetenz- und Selbstwerterfahrungen (A.H. Maslow; G.W. Allport) zeigen, dass diese sich im Kontext von Sacherfahrungen herausbilden.40 Dies ist denn auch der sachliche Grund, weshalb z.B. die Richtlinien zu Bildungsstandards die Kompetenzen mit Inhalten verknüpfen: Selbstwissen und Weltwissen sind unverzichtbar miteinander verschränkt. Auch braucht es für gelingende Kommunikation im RU die Auseinandersetzung mit Inhalten als Drittes; in sich selbst kreisende Kommunkation ist nur für therapeutisch-gruppendyna­mische Prozesse hilfreich. – Diese Einsichten können die Religionsdidaktik ermutigen, Aspekte persönlicher Entscheidungshilfen im RU fachdidaktisch-pädago­gisch reflektiert anzugehen, statt diese unter einem falsch verstandenen Manipulationsverdacht ängstlich zu umgehen oder auch in einem performativen Konzept allzu forsch anzuzielen.

Von daher hat die Entwicklung von Bildungsstandards nicht nur den Zusammenhang: BS – konkretisierende Kompetenzen – Aufgaben – Evaluation zu beachten, sondern auch den Zusammenhang: Kompetenzen von Personsein und Identität – Bildungsprozesse in Schule und Unterricht, um von daher notwendige Evaluationserfordernisse zu kontextualisieren und auch zu relativieren. Ein Konzept, das beide Zusammenhangsebenen miteinander verknüpft und transparent macht, ist pädagogisch-anthropologisch gehaltvoller, als ein Konzept, das zwar auf die Grenzen von Evaluation verweist, sich im Wesentlichen aber doch auf die Überprüfung konzentriert.

Modelle religiöser Kompetenz

Die Auseinandersetzung mit dem Religionsbegriff hat die Religionspadagogik besonders in den 1970er Jahren bestimmt.41 Dabei hat die Religionspädagogik weitgehend akademische Diskurse geführt. Die heutige Frage nach religiöser Kompetenz hingegen reicht konkret in den Raum von Schule und Unterricht hinein und ist darin fachdidaktisch konturiert. Darin liegt auch, gegenüber manch fruchtloser Begriffs-Debatte, der konstruktive Beitrag von Kompetenz-Modellen für eine Religionsdidaktik, insofern darin begründet werden soll, was es im RU im weit gefassten Sinn zu lernen gibt.

Im gegebenen Zusammenhang können die vorliegenden Modelle religiöser Kompetenz nicht umfassend dargestellt, geschweige denn gewürdigt werden. Es kann hier nur darum gehen, unter Berücksichtigung einiger wesentlicher Kriterien einen Überblick über Reichweite und Grenzen der Modelle zu geben. Dabei klammere ich die Frage nach Niveaustufen aus; denn diese braucht vor allem eine Verankerung in entsprechender Forschung, von der derzeit aber kaum tragfähige Ergebnisse vorliegen. Deshalb spiegeln z.B. die Versuche einer Stufung in den Vorgaben Baden-Württembergs42 nur erste, aber auch problematische Gehversuche auf der Basis von Praktikerwissen wieder. Die Stufung im Comenius-Vorschlag verknüpft Stufung wenigstens mit Aufgabenbewältigung; aber auch dieser ist nicht zureichend, da die Stufen sich nicht an der Bearbeitung einer Aufgabe für alle erweisen muss, sondern sich aus der Bearbeitung unterschiedlicher, bereits niveauspezifisch gefassten Aufgaben ergibt.43

Kriterien für Kompetenzmodelle und -dimensionen

Nach allgemeinen Standards wissenschaftlicher Theoriebildung sollten auch Kompetenzmodelle folgenden Kriterien genügen: Transparente Herleitung, für die Religionspädagogik neben theologischer auch psychologische Fundierung; Verständlichkeit und Anschlussfähigkeit vor und zurück; domänenspezifische (vs. domänenübergreifende) Kompetenzen; Dimensionentrennung; unterrichtliche Realisierbarkeit, fachdidaktischer Anregungsgehalt. Insbesondere im Blick auf wie auch immer gefasste Überprüfung der Verfügung über Kompetenzen durch Aufgabenstellungen kommt der Dimensionentrennung besonderes Gewicht zu; eine Vermischung von Dimensionen lässt eine Umsetzung in trennende Aufgabenstellungen von vornherein als problematisch erscheinen.44

Dimensionen der Religiosität

Das Modell von U. Hemel

Das älteste Modell von U. Hemel von 198845 hat dieser 200246 hinsichtlich der Dimensionen von Religiosität so zusammengefasst:

religiöse Sensibilität – mit der Lernaufgabe: Entfaltung religiöser Wahrnehmungsfähigkeit;
religiöse Inhaltlichkeit – mit der Kernaufgabe der religiösen Bildung im Sinn der (kognitiven) Differenzierung religiöser Vorstellungen;
religiöse Kommunikation – mit der Kernaufgabe der religiösen Sprach- und Dialogfähigkeit;
religiöses Ausdrucksverhalten – mit der Kernaufgabe der Ausbildung der Fähigkeit zur Übernahme religiöser Rollen;
die „grundlegende – fünfte – Dimension“ nennt Hemel „den Horizont religiös motivierter Lebensgestaltung“, die „messbar wird … im Blick auf die Relevanz von Religiosität für den einzelnen Menschen“ nach dem Stellenwert, der „religiösen Themen im eigenen Leben“ eingeräumt wird.

Die Dimensionen Sensibilität, Inhaltlichkeit, Kommunikation und Ausdrucksverhalten sind unstrittig für BS relevant und entsprechen auch weitgehend den zuvor genannten Trennungskriterien. Ein Problem stellt die fünfte Dimension dar, welcher schon 1988 eine Sonderstellung eingeräumt worden ist. Sie „bringt den ganzheitlichen und umfassenden Charakter von Religiosität zum Ausdruck und kann gewissermaßen als´Horizont´ verstanden werden.“ Sie ist „… integrierender Horizont aller anderen Dimensionen … Sonderstellung …, als sie religiöse Identifikationsprozesse bereits voraussetzt und nicht erst anstrebt“.47 Diese Dimension ist als eine Ziel-Dimension religiösen Lernens sicher unverzichtbar, kann aber als Meta-Dimen­sion nicht wie die anderen vier für die Dimensionierung religiöser Kompetenzen für RU herangezogen werden, zumal sie auch religiöse Identifikationsprozesse bereits voraussetzt. Dieser Horizont bildet sich erst im Zueinander aller anderen Dimensionen heraus und entspringt den freien Konstitutionsleistungen beteiligter Subjekte. In unserer obigen Terminologie: Die Dimensionen 1 bis 4 wären dem enger umschriebenen, die Dimension 5 dem weiteren Kompetenzverständnis zuzuordnen.48

Diese „subjektive Aneignung einer Religion als eine bestimmte Weise des Umgangs mit der menschlichen Weltdeutungskompetenz“49 wird für christliche Religion auch für Hemel an spezifischen Inhalten deutlich: Gottebenbildlichkeit, Nachfolge Christi, in Liebe wirksamer Glaube und christliche Persönlichkeit.50 Diese Verknüpfung der Kompetenzdimensionen mit konkreten, bestimmten Traditionen verpflichteten Inhaltsbereichen ist durchgängiges Moment in den vorgelegten BS-Entwürfen, in denen für den RU die „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ zu sichern versucht wird.

Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards (S I)

Auch den Kirchlichen Richtlinien zu Bildungstandards SI liegt ein Kompetenzmodell zugrunde. „Im katholischen Religionsuntericht werden mit Kompetenzen die Fähigkeiten und die ihnen zugrunde liegenden Wissensbestände bezeichnet, die für einen sachgemäßen Umgang mit dem christlichen Glauben, anderen Religionen und der eigenen Religiosität notwendig sind. Sie dienen gemeinsam dem Erwerb persönlicher Orientierungsfähigkeit.“51 Demnach wird auch hier zwischen Inhaltsbereichen und der aus der Auseinandersetzung damit erwachsenden Orientierungsfähigkeit unterschieden. Die Kompetenzen selbst arbeiten die Dimensionen von Hemel52 differenzierter aus:

religiöse Phänomene wahrnehmen; religiöse Sprache verstehen und verwenden; religiöse Zeugnisse verstehen; religiöses Wissen darstellen;53 in religiösen Fragen begründet urteilen; sich über religiöse Fragen und Überzeugungen verständigen; aus religiöser Motivation handeln.54 Diese Kompetenzen werden in Auseinandersetzung mit „Inhalten des christlichen Glaubens und anderer Religionen erworben“.55

Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung

Vergleichbares findet sich im Vorschlag des Comenius-Instituts zu grundlegenden Kompetenzen religiöser Bildung, wo im Anschluss an Hemel modifiziert wird: „religiöse Inhaltlichkeit“ als „Verfügung über Wissen und bereichsspezifische Orientierungs- und Deutungsmuster“, und „religiöse motivierte Lebensgestaltung“ gefasst wird als „integrierende Fähigkeit zu einem an religiösen Überzeugungen orientierten Handeln“.56 Neu ist, dass die Bezugsgröße Religion nicht nach Inhalten, sondern nach Ausdrucksformen von Religion bestimmt wird57 und dass 12 Kompetenzen formuliert58 und Beispielaufgaben59 beigegeben werden.

Weitere Modelle

W. Tzscheetzsch schlägt vor, sich im Hinblick auf schulpädagogische Realisierungsbedingungen auf religiöse Inhaltlichkeit und religiöse Sensibilität zu beschränken.60 Er lenkt damit den Blick auf das schulpädagogisch-fachdidaktische Bedingungsgeflecht von RU in der Schule. – B. Schröder unterscheidet folgende Kompetenzen: Deutungskompetenz – Ausdruckskompetenz – Kommunikationskompetenz – Reflexionskompetenz – (ethisch/soziale) Handlungskompetenz.61 Er unschreibt damit aber Kompetenzen, die nicht nur im RU, sondern für verantwortliches Leben insgesamt von Bedeutung, also nicht „domänenspezifisch“ sind. Die spezifische Ausprägung für den RU muss sich dann an den bearbeiteten Inhaltsbereichen zeigen.

Monika Jakobs legt ein Misch-Modell vor. Die Kompetenzen (Religiöse Sachkompetenz, Religiöse Selbstkompetenz und Religiöse Sozialkompetenz) erschließen die Inhaltsbereiche: Religiöse Sprache – Religiöse Texte und Traditionen im Kontext – Zusammenleben: Ethos, Menschenbilder, Werte und Normen – Letzte Fragen: Über das Fassbare hinaus.62 Ob dieser Ansatz einen Zugang zu „letzten Fragen: Über das Fassbare hinaus“ erschließt, darf im Blick auf spezifische Bewältigungsformen von Grenzsituationen zumindest angefragt werden.

Anschlussfragen

Welchem Modell sich eine Komission für BS anschließt, hängt letztlich neben theologischen, pädagogischen und fachdidaktischen Entscheidungen auch an pragmatischen. Zu deren Abklärungen seien noch drei Überlegungen angestellt:

Die reflexive Dimension des RU

R. Englert unterbreitet ein Modell, das in der Lage ist, den bisher eher additiv gefassten Bezug von BS und Inhalten integriert zu fassen. Kernpunkt ist für ihn „religiöse Orientierungsfähigkeit“ als komplexe religiöse Kompetenz, die erst dann erschlossen ist, wenn sie zweierlei umfasst: „Erstens die Verfügung über ´konfiguriertes´ religiöses Wissen (Faktor ´Konfigura­tion´) sowie, zweitens, die Fähigkeit zur individuellen Aneignung religiöser Traditionen (Faktor ´Individualisierung´).“63 Dabei markiert der erste Faktor, was im Kontext von BS eingefordert wird: Strukturen geordneten Wissens, Anschlussfähigkeit, aufbauendes und kumulatives Lernen, vor allem das bisher noch nicht durch Forschung aufgehellte Problem „kumulativer Sequenzierung“64.
(Religiöse) Kompetenzen und Inhalte (christliche Tradition) sind darin notwendig verschränkt, dass religiöse Orientierungsfähigkeit sich nicht anders ausbilden kann „als in der kritischen Auseinandersetzung mit einer gehaltvollen religiösen Tradition“, für deren „Gehalt“ ihre „Gestalt“ entscheidend ist. Für diese Gestalt unterscheidet Englert drei Dimensionen: syntaktische („besonderen ´Grammatik´ des religiösen Sprachspiels“: „Unaufgebbarkeit symbolischer Repräsentation und metaphorischer Rede“), semantische ( innere „Kohärenz“ christlicher Tradition, „zusammenhängendes Text- und Diskursouniversum“) und pragmatische (christliche Tradition als „Kommunikationsraum und Wirkungszusammenhang“ mit „Impulscharakter für das eigene leben“) Dimension.65 Entscheidend scheint mir dabei, dass in den drei Dimensionen unterschiedliche Zugänge zu wählen sind. Syntax, Semantik und Pragmatik sind nach eigenen Regeln zu buchstabieren; es gibt kein vorab zu bestimmendes Kompetenz-Netz, das dann anschließend über alle drei Dimensionen auszuwerfen wäre.66

Vorschlag Zwergel: Dimensionen

Im Bemühen um ein auch schulpädagogisch-fachdidaktisch verankertes Kompetenzmodell schlage ich in Modifikation von Englert (2002) eine Dimensionierung67 vor, die in der Lage ist, die eigenständigen Zugangsformen in der entsprechenden Dimension herauszuarbeiten – ein Modell also, das davon ausgeht, dass es für die unterschiedlichen Dimensionen keineswegs ein gemeinsames Bewältigungs-Netz bzw. Zugangsformen gibt, die vorab für alle gemeinsam formuliert werden könnte.

Religiöse Kompetenz, wie sie im schulischen RU angestrebt werden kann, umfasst folgende dimensionenorientierte Kompetenzen:

Fähigkeit zum Umgang mit religiösen Traditionen;

Fähigkeit zum Umgang mit ethischen Entscheidungssituationen;

Fähigkeit zum Umgang mit existentiellen Grenzsituationen;

Fähigkeit zum Umgang mit religiöser Pluralität.

Durch die Differenzierung religiös, ethisch, existentiell sind die hervorgehobenen Dimensionen zureichend bestimmt und unterschieden, Voraussetzung für auf Dimensionentrennung basierende empirische Überprüfung. „Umgang“ ist dabei bewusst allgemein gefasst, gleichsam als Platzhalter für noch für die einzelnen Dimensionen durch Forschung zu bestimmende besondere, sich dimensionenspezifisch unterscheidende Auseinandersetzungsformen. Mit Traditionen ist unterrichtlich anders umzugehen als mit ethischen Entscheidungssituationen; wiederum anders mit existentiellen Grenzsituationen und religiöser Pluralität:

Die Möglichkeiten unterrichtlicher Planung und Realisierung, in Verbindung mit Überprüfung von Unterrichtsergebnissen, ineins mit Niveau-Stufungen unterscheiden sich in allen vier Dimensionen. Während für den Umgang mit religiösen Traditionen Wissen, Methodenkenntnisse, reflexive Zugänge unterrichtlich geplant und überprüft werden können und auch die Niveau-Stufungen z.B. von PISA und IGLU herangezogen werden können, 68 ergeben sich für die Planbarkeit im Umgang mit ethischen Entscheidungssituationen bereits Unterschiede. Zwar müssen auch hier in einem Prozessmodell ethischen Handelns z.B. Wahrnehmung der Situation, Erkunden von Handlungsalternativen, Abschätzen von Handlungsfolgen unterrichtlich gelernt werden, aber persönliches Betroffensein als sittliche Herausforderung und Entscheidung für einen persönlichen Handlungsplan sind dem entzogen; Niveau-Stufungen werden sich sicher anders ausprägen, als beim Umgang mit Traditionen. Auch der Umgang mit existentiellen Grenzsituationen muss schulisch-unterrichtlich gefördert werden, da die entsprechenden Fähigkeiten, wie oben für ein erweitertes Kompetenzverständnis bereits formuliert, nicht naturwüchsig gegeben sind. Hier gerät aber unterrichtlichen Planung an ihre Grenzen, nicht aber die Notwendigkeit, diese Prozesse zu begleiten, und, wenn solche Situationen sich in der Kommunikation in Schule und Unterricht ergeben, die Erfahrungen der beteiligten Personen zuzulassen, zu klären und auch zu Ausdrucks- und vor allem Bewältigungsformen zu verhelfen. Zielorientiert-unterrichtlichem Handeln nicht entzogen ist z.B. die Förderung von Wahrnehmungsfähigkeit als Voraussetzung für Erfahrungsfähigkeit. Auch braucht es hier eine besondere Kompetenz der Lehrpersonen als Begleiter der Schülerinnen und Schüler. Bei dieser Dimension von Niveau-Stufungen zu reden, erscheint höchst problematisch. Der Umgang mit religiöser Pluralität zeigt über weite Strecken Ähnlichkeiten mit dem Umgang mit religiösen Traditionen, erweitert aber um spezifische Probleme von Vorurteil und Identität.

Eine Trennung der Dimensionen vermag auch, in einer schulpädagogisch-fachdidaktisch stimmigen Form die Frage nach den performativen Anteilen des RU zu beantworten.

Performativer RU

Wo der Bestand an religiöser Sozialisation und damit auch von Grundwissen über Religion immer weiter zurückgeht, muss nach diesem Ansatz der RU den SchülerInnen religiöse Phänomene als solche überhaupt erst erschließen, er muss ihnen Religion „zeigen“, was über Lehren als kognitive Vermittlung hinausgeht. Dabei geht es um die Wahrnehmung von Religion als Zeichenhandlungen, als kommunikative Akte, in denen Menschen ihre Grundbefindlichkeiten ausdrücken. Damit muss auch in den Gebrauch dieser Zeichensysteme eingefürht werden.69 Dies kann für Religionen nicht nur von außen, sondern muss auch von innen geschehen.70

„Sowohl von den lernenden Subjekten her als auch von der Eigenlogik des Gegenstands ´Religion´ aus erweist sich ein ausschließliches Reflexionsmodell schulischen Lernens heute als defizitär; es sollte deshalb mit inszenierenden Elementen ergänzt – nicht durch sie ersetzt – werden.“71 „Das Fach soll ´in Religion´ einführen und darf nicht auf einen Unterricht ´über Religion´ beschränkt werden.“ „Gemeinschaft auf jugendgemäße Weise inszenieren“; „nicht nur ´über´ Moral diskutieren, sondern ethisches Verhalten einüben“; „Riten ausprobieren“; „nicht nur ´über´ Gebet und Liturgie sprechen, sondern zum experimentellen Beten und liturgischen Handeln anleiten und diese Erfahrung auch reflektieren“.72
Mendl setzt sich auch mit den Anfragen auseinander: „… dass von Kritikern inszenierendes Handeln besonders im Bereich von Liturgie und Gebet als problematisch erachtet wird – und zwar von zwei Blickwinkeln aus. Religiöse Rituale, Gebete und liturgische Handlungen können nur in einem Referenzrahmen der freien Zustimmung und der subjektiv-existentiellen Bejahung vollzogen werden; dafür sei der schulische Unterricht nicht der richtige Ort.
Verweist man, wie unten noch geschehen wird, darauf, dass solche inszenierenden Elemente selbstverständlich ´nur´ den Charakter von Probehandlungen hätten, dann kommt von der Sachebene her der Einwand, dass ein solches ´Ausprobieren´ wiederum der Ernsthaftigkeit des Gegenstandes Gebet und Liturgie nicht angemessen sein.“73

Die Hinweise auf die Ernsthaftigkeit des Spiels und Probehandeln auf Zeit verdecken nicht die Probleme, die sich bei intendierter Inszenierung ergeben. Es bleibt der grundlegende Vorbehalt, dass performative Akte wie Lieben, Vertrauen, Trauern, Hoffen, Verzeihen nicht „als ob“ und auf Probe unterrichtlich inszeniert werden können. Gleichwohl bleibt unverzichtbar, dass diese menschliche Dimension in Schule und Unterricht nicht ausgeklammert werden darf, bedarf doch auch sie der menschlichen Entwicklung und Begleitung. Es gibt nur den einen Ausweg, dass die performativen Grenzsituations-Akte, wenn nicht inszeniert, so doch bei situativer Einbettung, d.h. bei Gelegenheit der Erschließung und Verarbeitung solcher Erfahrungen zugelassen und als menschlich-religiöse Ausdrucksformen gefördert werden.

Die Forderung von B. Dressler, dass die christliche Religion nicht mitgeteilt werden kann, ohne zugleich dargestellt zu werden,74 darf im Kontext des performativen RU nochmals gewendet werden: Muss diese Darstellung mimetisch, emotional-ritualistisch sein? Kann die Bedingung der Darstellung nicht auch erfüllt werden, wenn sich das Christliche in seinen spezifischen Antworten auf existentielle Situationen erweist? Gestalt muss nicht Ritual, sondern kann auch (zwar nicht restlos) kognitiv zu durchdringende Lebensbewältigung in konkreter Praxis sein.

Das damit Gemeinte könnte auch unter Hinsicht unterrichtlicher Möglichkeiten durchbuch­stabiert werden im Blick auf die spezifischen Antworten und auch Handlungsmöglichkeiten, wie sie enthalten sind in den beiden Sätzen: „Der Tod am Brot allein.“ (D. Sölle); und: „Das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen.“ (J.B. Metz). Dieser Ansatz könnte auch ein Gegengewicht gegen zunehmende Ästhetisierung von Religion, für kognitive Durchdringung mit Motivationsfolgen für Handeln erschließen.

Fazit

Die Diskussion um Bildungsstandards Religion im Kontext der Qualitätssicherung des RU zeigt einen Zugewinn an Transparenz der Ziele des RU in einem sich verändernden Raum von Schule und Unterricht. Besonders die Forderung nach kumulativem und anschlussfähigem Wissen vernetzt den RU mit den bildungspolitisch akzentuierten Zielen von Schule und Unterricht

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