Feindesliebe und Versöhnlichkeit

1. Auch diejenigen unserer Mitmenschen, die uns ihre Liebe versa­gen, die uns geschädigt und gekränkt haben, unsere Feinde, müssen wir mit unserer Liebe umfassen. Um uns die Pflicht der Feindes­liebe an anschaulichen Beispielen und nicht bloß mit Worten einzuprägen, hat die Tora das Gebot der Nächstenliebe zweimal geschrieben, einmal für alle Menschen (5. Ms. 22, 1‑4), das andere Mal für den Feind insbesondere (2. Mos. 23, 4 und 5).

Dabei bestimmt die mündliche Überlieferung, dass wir, wenn Freund und Feind gleichzeitig unsere Hilfe fordern, dem Feinde vorher helfen sollen, selbst wenn aus besonderen Gründen dem Freunde der Vorzug gebührt, nur um das Gefühl der Feindseligkeit in uns zu zügeln.

2. Außerdem verbietet die Tora die Rache. Bei diesem Verbot setzt sie den Fall, dass wir das erlittene Böse mit Bösem vergelten, gar nicht voraus; dieses Verbot untersagt uns sogar, unserem Neben­menschen einen Dienst zu versagen, weil er früher uns einen solchen ebenfalls versagte. Niemand darf zu seinem Nächsten sprechen: ich leihe dir meine Sichel nicht, denn du hast mir, als ich es wünschte, deinen Spaten auch nicht geliehen.

3. Doch noch weiter gegen die Forderungen der Tora; sie verbietet uns auch den Groll. Selbst wenn unser Beleidiger nichts getan hat, uns zu versöhnen; selbst wenn unser Vorhalt ihn nicht zur Besserung geführt hat: auch dann dürfen wir das Andenken an das erlittene Unrecht, an die versagte Wohltat nicht in unserem Gemüte aufbewahren, dürfen nicht zu ihm sprechen: Wohl ich leihe dir meine Sichel, denn ich bin nicht wie du, der du mir deinen Spaten verweigert hast, als ich darum bat. Dieses völlige Verges­sen erlittenen Unrechts ist wohl das höchste, was von einem beleidigten Menschenherzen gefordert werden kann; aber die Tora fordert es. Darum sagen unsere Weisen s.A.: „Die da geschmäht werden und nicht wieder schmähen, ihre Lästerung anhören und nicht antworten, die das aus Liebe tragen und wie von Gott geschickte Leiden freudig hinnehmen: auf sie ist die Schriftstelle (Richter 5, 31) anzuwenden: die ihn lieben, glei­chen der Sonne, wenn sie am hellsten leuchtet..

4. Eine unter rohen Menschen zuweilen vorkommende, von der Tora verbotene Äußerung des Hasses ist der Fluch, d. h. der in Worten ausgedrückte Wunsch, es möge jemandem Böses widerfahren. Das Fluchen ist verboten, ob der Gefluchte es höre oder nicht; es ist besonders sündhaft und mit Geißelstrafe bedroht, wenn dieser Wunsch unter der Nennung eines Gottesnamens ausgesprochen wird, wodurch gleichsam der Allgütige angerufen wird, einem seiner Geschöpfe Böses zuzufügen. Auch der Selbstfluch ist verboten. Doppelt sündhaft ist der gegen einen Richter ausgesprochene Fluch.

Hungert dein Feind, so speise ihn mit Brot, dürstet er, so tränke ihn mit Wasser. Spr.Sal. 25,21.

Wenn du den Ochsen deinen Feindes oder seinen Esel herumirrend triffst, so sollst du ihn ihm wiederholt zurückbringen. Wenn du den Esel deines Hassers unter seiner Last liegen siehst, so darfst du dir nicht gestatten, es ihm zu überlassen, sondern vielmehr alles fahren lassen und ihm beispringen. 2. Mos. 23, 4 u. 5.

Sprich nicht: Wie er mir getan, so will ich ihm wieder tun, will jedem vergelten nach seinem Werke. Spr.Sal. 10,12.

Du sollst (selbst) einem Tauben nicht fluchen und vor einen Blinden keinen Fallsltrick hinlegen, und fürchte dich vor deinem Gott, ich bin Gott. 3. Mos. 19, 14.

Er liebte den Fluch, darum traf er ihn; er hatte nicht Lust am Segen, darum blieb er ihm fern. Ps. 109,17

Schreibe einen Kommentar