Das Wochenfest

1. Geschichtliche Bedeutung. Für das Schawuotfest ist in der schriftlichen Tora keine geschichtliche Veranlassung ausdrücklich angegeben; aber es ist aus derselben ersichtlich und wird auch von unseren Weisen s.A. überliefert, dass um die Zeit dieses Festes die Gesetzgebung am Sinai stattgefunden hat; darum nennen wir es im Festgebete: S’man Matan Toratenu.

Diese geschichtliche Veranlassung verleiht diesem Feste eine sehr erhabene Bedeutung. Durch die Befreiung  aus Ägypten ward Israel körperlich frei; erst durch die Tora wurden wir geistig frei, sie ward für den befreiten Volkskörper die unsterbliche Volksseele. Am Pessachfest trat Israel aus der Sklaverei der Menschen, das Schawuotfest erhob Israel zu der Würde eines Gottesknechtes, eines Priester­reiches inmitten der Menschheit, eines heiligen Volkes. Das Schawuotfest ist darum ein Denkmal für das wichtigste Ereignis in der Weltgeschichte.

2. Jahreszeitliche Bedeutung. Das Schawuotfest ist ein Sommer­fest, die Tora nennt es Jom haBichurim, Tag der Erstlinge, weil an demselben im Tempel ein Mehlopfer von dem ersten in demselben Jahr gewachsenen Weizen dargebracht wurde, und weil man an diesem Fest anfing, die zuerst gereiften Landesfrüchte, die jeder Grund­besitzer in den Tempel bringen mußte, darzubringen. Auch dieses Opfer von Weizenmehl bringt die erhabene Bedeutung des Festes bildlich zum Ausdruck; denn am zweiten Pessachtag brachte man ein Mehlopfer von der gemeineren, mehr für Tiere bestimmten Gerste dar.

3. Besonderes Festvorschriften sind uns für dieses der ganzen Tora gewidmete Fest nicht gegeben; dagegen hängt mit diesem Fest ein Gebot zusammen, das uns jedes Jahr im Voraus auf dessen hohe Bedeutung aufmerksam machen soll.

Es ist uns nämlich geboten, vom zweiten Pessachabend (15. auf 16. Nissan) an, also von dem Tage an, da die erste Gerstengarbe (Omer = Garbe) dargebracht worden, neunundvierzig Tage lang die Tage und Wochen zu zählen und am fünfzigsten Tage des Schawuot (= Wochenfest) zu feiern S’firat ha‑Omer. Man zählt stehend am Anfang der Nacht den folgenden Tag, nachdem man die Benediktion al S’firat ha‑Omer gesprochen. Hat man in einer Nacht nicht gezählt, so zählt man am folgenden Tage ohne, an den folgenden Abenden mit Benediktion. Wer aber einen Tag gar nicht gezählt hat, zählt in jenem Jahre an den folgenden Abenden immer ohne Benediktion.

Dieses Zählen soll uns an die Sehnsucht erinnern, mit welcher das aus Ägypten befreite Israel der Offenbarung am Sinai entgegen­harrte und gleichsam die Tage und Wochen zählte, wie jemand, der der Ankunft eines lieben Freundes, der Erfüllung eines Lieblings­wunsches entgegensieht. Wegen dieses Zusammenhangs mit dem Pes­sachfest nennen unsere Weisen s.A. dieses Fest auch Azeret = Schlußfest (des Pessachfestes).

4. Während der Omerwochen starben einst an einer Seuche sehr viele Torakundige, allesamt Schüler Rabbi Akibas, weil sie sich gegenseitig nicht die Hochachtung bezeigten, die dem Torakundigen gebührt. Da lag nun das Feld des Torastudiums öde, bis R. Akiba neue Jünger angeworben und unterrichtet hatte. Später, im j.d.W. 4856 (1096), fielen in den Omerwochen die nach dem Morgenlande ziehenden Kriegerscharen in fast allen Gegenden Europas über unsere Väter her und mordeten Hunderttausende, welche nicht von Gott, dem Einzigen, lassen wollten. ‑ Darum gilt diese Zeit als Trauerzeit; man hält keine Hochzeit und nimmt den Bart nicht ab, außer am 33. Omertag.

Im dritten Monat nach dem Auszug der Kinder Israel aus Ägypten an demselben Tage waren sie in der Wüste Sinai angekommen. Sie waren nämlich von Rephidim weggezogen und in die Wüste Sinai gekommen und schlugen Lager in  der Wüste; und Israel lagerte dort dem Berge gegenüber. 2. Mos. 19, 1‑2.

Ihr sollt zählen vom Tage nach dem Festtage (Pessach), nämlich von dem Tage an, an dem ihr das Omer schwingend dargebracht, sieben volle Wochen sollen es sein, bis zum Tage nach der sieben­ten Woche zählt ihr fünfzig Tage, dann bringet ihr Gott eine neue Huldigungsgabe dar. Und ihr sollt an eben diesem Tage verkündi­gen, eine Berufung zum Heiligtum soll euch sein; kein Dienstwerk dürft ihr verrichten, ein ewiges Gesetz in allen euren Wohnstät­ten für eure Nachkommen. 3. Mos. 23. 15, 16, 21.

Sieben Wochen zählst du dir; vom Beginn der Sichel am Getreide beginnst du zu zählen sieben Wochen und vollbringst dann Gott deinem Gotte, das Wochenfest mit dem Tribut, mit der Weihegabe deiner Hand, die du gibst, wie Gott, dein Gott dich segnen wird.

5. Mos. 16. 9‑10.

Schreibe einen Kommentar