Die Vorschriften über den Kalender

1. Die Vorschriften über die Feste Gottes haben wir nur dann dem Gebot der Tora entsprechend erfüllt, wenn wir sie genau nach dem gesetzmäßig berechneten Kalender feiern. Die Bestimmung der Festzeiten übertrug die Tora den Häuptern der jüdischen Nation, die so in Ansehen standen, wie zu ihrer Zeit Moses und Aaron. Nur diese oder von ihnen Bevollmächtigte durften die Monatsanfänge bestimmen und Schaltjahre einsetzen.

Es mußten im heiligen Land anwesende Männer sein, welche durch die seit Moses (4.Mos. 27, 15‑23) nie unterbrochene Händeauflegung (Semicha) zu Volksführern eingesetzt (ordiniert) waren. Die Machtvollkommenheit dieser Männer in der Bestimmung der Festzeiten war so groß, dass ihre Festsetzungen Gültigkeit hatten, selbst wenn dieselben auf Irrtum oder Willkür beruhten. Dies war notwendig, damit nicht die Nation bezüglich der Feste sich in verschiedene Parteien zersplitterte. Zur Bestimmung der Monatsanfänge genügte eine Dreimännerbehörde (Bet Din); zur Einschaltung eines Monats mußte der  Vorsitzende des obersten Gerichtshofes ( ) den Vorsitz führen, die Beisitzer mußten voraus unter Angabe des Zweckes zu der Verhandlung geladen sein, und es konnte die Zahl der Richter unter Umständen auf sieben erhöht werden.

2. Die Monatsanfänge wurden festgesetzt auf Grund eines mit der Berechnung der Behörde übreinstimmenden, am dreißigsten des Monats abgelegten, strenggeprüften Zeugnisses, dass der Neumond in der Nacht zwischen dem neunundzwanzigsten und dreißigsten des Monats gesehen worden war. War dieses Zeugnis vorhanden, so heiligste die Behörde den dreißigsten als Anfang des kommenden Mo­nats. Waren keine Zeugen erschienen, oder konnte nach Abschluß des Verhörs am dreißigsten die Heiligung bei Tage nicht mehr ausgesprochen werden, so galt der einunddreißigste als Anfang des kommenden Monats. Wenn der Monatsanfang auf den dreißigsten festgesetzt worden war, so verkündete man dieses den entfernten Gemeinden ursprünglich durch Bergfeuer, später durch Boten. Wohin diese bis zu einem Fest gelangten, feierte man das Fest wie in Jerusalem an dem einen richtigen Tag; wo sie nicht hingelangten, feierte man zweifelswegen zwei Tage, als ob der Monat am dreißigsten und einunddreißigsten des vorigen begon­nen hätte. Nur das Neujahr wurde, weil mit dem Monatsan­fang zusammenfallend, selbst in Jerusalem meistens zwei Tage gefeiert.

3. Ein dreizehnter Monat wurde eingeschaltet, so oft das Bedürfnis eintrat, das Mondjahr mit dem Sonnenjahr auszugleichen, namentlich zu verhindern, dass das Pessachfest nicht zu weit in den Winter hereinfalle. Die Einschaltung mußte immer im zwölften Monat (Adar) und vor dessen Ablauf vorgenommen werden; sie bestand darin, dass der folgende Monat als Adar II erklärt wurde. Der Einschaltungsbeschluß wurde durch ein Rundschreiben des Vorsit­zenden den Gemeinden mitgeteilt.

4. So lange nun im heiligen Land eine Anzahl von Männern lebte, welche die von der Tora geforderten Eigenschaften besaßen, bestimmten diese von Jahr zu Jahr die Festzeiten und nach Bedürf­nis die Schaltjahre; es gab keinen festen Kalender, auch noch lange nach der Zerstörung des zweiten Tempels. Als jedoch die Feinde Israels es dadurch zu vernichten suchten, dass sie keine Führer und Lehrer der Nation mehr aufkommen ließen, da wurde die Händeauflegung mit Todesstrafe und mit Zerstörung der Stadt, in welcher eine solche stattgefunden, bedroht. Deshalb war zu fürch­ten, es könnte der Fall eintreten, dass keine Männer mehr da seien, welche zur Bestimmung der Festzeiten berechtigt wären. Das veranlaßte im Jahre der Welt 4119 (359 n.) Hillel II. und seine Genossen im obersten jüdischen Gerichte (Synhedrion), im voraus alle Festzeiten bis zu den Tagen des Messias festzustellen, und zwar nach der Berechnungsweise, welche bisher schon neben den Zeugenaussagen bei der Bestimmung der Monatsanfänge und Einschal­tung der Monate in Anwendung gebracht worden war. So sind denn alle unsere Feste rechtsgültig nach den Vorschriften der Tora festgesetzt.

5. Damit aber die so festgestellten und geheiligten Festzeiten nicht vergessen würden, veröffentliche Hillel II. gleichzeitig auch die bisher geheim gehaltenen Regeln und Grundsätze, nach welchen man sich bis dahin schon bei der Bestimmung der Neumonde und Festzeiten gerichtet hatte, so dass es leicht ist, die damals bestimmten Festzeiten durch Berechnung festzustellen. Dies ge­schieht jetzt alljährlich durch unseren Kalender.

Die wichtigsten Regeln und Grundsätze sind folgende:

a. Die Tage, welche in bezug auf Sabbat‑ und Festtage von Ster­nenaufgang bis Sternenaufgang ( ) dauern, werden bei der Kalen­derberechnung von abends sechs Uhr bis sechs Uhr, und zwar nach israelischer Zeit berechnet, so dass z.B. ein abends, wenn auch nur einen Augenblick nach sechs Uhr, eingetretener Neumond als am darauffolgenden Tag eingetreten betrachtet wird.

b. Die jüdischen Monate sind Mondmonate und werden von dem Augenblick begrenzt, in welchem der am Ende seines Kreislaufes ganz verdunkelte Mond wieder beginnt, seine erleuchtete Seite der Erde zuzuwenden. Man nennt diesen Augeblick Moled, die Neugeburt des Mondes. Von einem Moled zum andern verfließt ein Zeitraum von 29 Tagen 12 793/1080 Stunden (193/2080 Stunden = 44 Minuten 3 1/3 Sekunden).

c. Der Moled ist jedoch nur die maßgebende, nicht die wirkliche Grenze des Monats. Da der Monat nur mit einem ganzen Tag anfangen kann, so werden die 12 Stunden von zwei Mondumläufen je zu einem Tag vereinigt und abwechselnd Monate von 29 und 30 Tagen genom­men; erstere nennt man mangelhafte (chaser), letztere vollzählige (male). Die Abwechselung von mangelhaften und vollzähligen Mona­ten kann jedoch nicht regelmäßig eingehalten werden.

d. Der bei dem Mondumlauf noch überbleibende Rest von 793/1080 Stunden (44 Min. 3 1/3 Sek.), welcher nach längerer Zeit zu Tagen anwächst, sowie andererseits die Vorschrift, dass die Feste nur auf bestimmte Wochentage fallen sollen ( k und l), machen es notwendig, dass zuweilen zwei mangelhafte, manchmal auch zwei vollzählige Monate aufeinander folgen.

e. Das jüdische Jahr ist entweder ein Gemeinjahr  (  ) oder Schaltjahr ( ); ersteres umfaßt 12,

letzteres 13 Monate. Die Namen der Monate, welche chaldäisch‑persischen Ursprungs sind, werden, der des Auszugs aus Ägypten als erster, in folgender Ordnung aufgezählt; Nissan, Ijar, Siwan, Tamus, Aw, Elul, Tischri, Marchschwan, Kislew, Tevet, Sch’wat, Adar, We‑Adar = und Adar oder Adar II). Letzerer wird im Schalt­jahr immer vor Nissan eingeschoben. Nissan, Siwan, Aw, tischri, Sch’wat, Adar I im Schaltjahr sind immer vollzählige, Ijar, Tamus, Elul, Tevet Adar im Gemein‑, Adar II im Schaltjahre sind immer mangelhafte Monate. Marcheschwan und Kislew sind bald regelmässig, der erstere mangelhaft, der letztere vollzählig, bald beide mangelhaft, bald beide vollzählig.

f. So entstehen mit Rücksicht auf ihre Dauer sechs verschiedne Jahresarten: Wechseln in einem Jahr mangelhafte und vollzählige Monate in der Art regelmäßig ab, das Marcheschwan 29, Kislew 30 Tage umfaßt, so heißtt das Jahr ein regelmässiges ( ). Das regel­mäßige Gemeinjahr zählt 354, das regelmäßige Schaltjahr 384 Tage. Umfassen die beiden Monate Marcheschwan und Kislew je 30 Tage, so nennt man das Jahr ein überzähliges  ( ), das als Gemeinjahr 355, als Schaltjahr 385 Tage enthält. Wenn Marcheschwan sowohl als Kislew nur 29 Tage zählen, so entsteht das unvollständige Jahr (), das, wenn Gemeinjahr 353, wenn Schaltjahr 383 Tage umfaßt.

g. Die Monatseinschaltung bildet den wichtigsten Teil des jüdi­schen Kalenders. Die Tora gebietet nämlich, dass das Pessachfest in den Monat der Ährenreife (in Palästina), das Hüttenfest am Schlusse des Sommers als Einheimsungsfest gefeiert werden. Da nun ein Jahr aus 12 Monden 354, ein Sonnenjahr aber 365 Tage umfaßt, so bleibt ersteres alljährlich um 11 Tage (genauer 10 Tage 21 17/90 Stunden) gegen das letztere zurück. Dieser Rest häuft sich in nicht ganz drei Jahren schon zu einem Monat an. Das würde zur Folge haben, dass z.B. Pessach, wenn es in einem Jahr auf den 1. April fiele, nach drei Jahren auf Ende Februar, wieder nach drei Jahren in den Januar fallen müßte; so alle Feste, was der Vor­schrift der Tora zuwider wäre.

h. Um das zu verhindern, hat die Tora die Einschaltung angeord­net. Eine solche, allerdings, weil zu spät vorgenommen, von den Weisen s.A. als ungesetzlich bezeichnete, finden wir schon unter König Chiskija erwähnt. Die Einschaltung besteht darin, dass unter neunzehn Jahren je sieben aus dreizehn Monaten bestehen, und zwar das 3., 6., 8., 11., 14., 17., 19. Man nennt einen solchen Zeitabschnitt von neunzehn Jahren den kleinen (Mond‑)Kreislauf ( ); an dessen Ende ist der Unterschied zwischen Mond‑ und Sonnenjahren bis auf ein Unmerkliches ausgegliechen, und unsere Feste bleiben nach der Vorschrift der Tora an die natürlichen Jahreszeiten gebunden.

i. In unserem Kalender werden noch vier den Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen entsprechende Jahrespunkte bezeichnet. Sie liegen je 91 Tage und 7 1/2 Studen voneinander entfernt und werden die T’kupha des Nissan, des Tamus, des Tischri und des Tevet genannt, obschon sie nicht immer genau in diese Monate fallen. Je nach 28 Jahren fällt die T’kupha des Nissan genau auf denselben Tag und dieselbe Stunde (dritter Wochentag abends 6 uhr); man nennt disen achtundzwanzigjährigen Zeitabschnitt den großen (Sonnen‑)Kreislauf. So lange der Kalender nicht feststand, hatte die T’kuphaberechung Einfluß auf die Monatseinschaltung, was heutzutage nicht mehr der Fall ist. Dagegen hängen damit folgende Vorschriften zusammen. Am vierten Wochentag nach Beginn des neuen großen Kreislaufs nach dem Morgengebet sprechen wir  beim Anblick der aufgehenden Sonne die Benediktion ( ). Alljähr­lich am 59. auf den 60. Tag nach der T’kuphah des Tischri beim Maariv‑Gebet beginnt man ( ) in die neunte Benediktion einzufü­gen; diese Einfügung wird fortgesetzt bis einschließlich zum Mincha‑Gebet am Rüsttag des Pessachfestes.

j. Das Neujahrsfest (Rosch Haschana) sollte eigentlich auf denselben Tag mit dem Moled des siebenten Monatss Tischri fallen. Da aber den Häuptern der Nation in der Tora das Recht eingeräumt ist, die Monatsanfänge festzusetzen, ohne sich ganz genau an den Mondwechsel zu binden, so haben dieselben angeordnet, dass in gewissen Fällen das Neujahrsfest nach dem Moled des Tischri gefeiert werde. Dieses geschieht hauptsächlich, damit der Vrsöhnungstag nicht unmittelbar vor oder nach dem Sabbat und der siebente Tag des Hüttenfestes  (Hoschana raba) nicht auf Sabbat falle. Ersteres wäre für die Masse der Nation überhaupt sehr beschwerlich und würde insbesondere auch die Folge haben, dass Leichen ungebührlich lange unbeerdigt bleiben müßten, was gegen die Vorschrift der Tora ist und im heißen Morgenland auch äußerst lästig wäre. Am siebenten Tag des Hüttenfestes müßte aber die Vorschrift wegen der Weiden unerfüllt bleiben, wenn dieser Tag auf einen Sabbat fiele. Der eine oder andere dieser Fälle müßte eintreten, wenn das Neujahrsfest auf den 1., 4 oder 6. Wochentag ( ) fiele. Fällt darum der Moled des Tischri eines Jahres oder des ihm folgenden auf einen dieser Wochentage, so wird das Fest verschoben.

1. Damit hängt folgendes zusammen. Die Sommermonate müssen fest­stehend regelmäßig zwischen einer Dauer von 30 und 29 Tagen abwechseln, und die Zeit vom 16. Nissan mit dem Versöhnungstag muß 172 Tage umfassen, 50 Tage für das Omerzählen und für die dreimal 40 Tage, welche Moses auf dem Sinai verweilte, als deren letzter der Versöhnungstag zu betrachten ist. Da nun nach der Regel: ( ) das Neujahrsfest auf den gleichen Wochentag mit dem vorangegangenen 3. Pessachtag fällt,  so müßte, wenn der erste Pessachtag  auf den 2., 4. oder 6. Wochentag fiele ( ), das folgende Neujahrsfest auf den 1., 4., oder 6. Wochentag fallen, was, wie gesagt worden (k), nicht sein darf. Darum wird vorge­sorgt, dass Pessach auf keinen der genannten Wochentage falle; dies wird dadurch erreicht, dass die vorangehenden Monate Mar­cheschwan und Kislew je nach Bedürfnis beide 29 oder 30 oder abwechselnd 29 und 30 Tage erhalten (e und f).

6. Auf diese Weise sind unsere Feste über jede Schwankung erhaben festgestellt, und unser Kalender, so klein er ist, bildet einen wichtigen Abschnitt der Toravorschriften, welche wir in der Zerstreuung zu beobachten haben, aber auch ein Band der Einheit unter den Zerstreuten, bis ihn das Synhedrion wieder nach der ursprünglichen Vorschrift ordnen wird in den Hallen des Tempels.

Gott sprach zu Moses und Aaron im Lande Ägypten also: Dieser Neumond sei euch Anfang von Monaten; er sei euch der erste unter den Monaten des Jahres. 2. Mos. 12, 1‑2.

Gott sprach zu Moses: Sprich zu den Söhnen Israels und sage ihnen: Die Festzeiten Gottes, die ihr als Berufung zum Heiligtum verkünden werdet, diese sind meine Festzeiten. 3. Mos. 23, 1‑2.

Schreibe einen Kommentar